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Der Mann und das Meer

Tief in der Nacht erklang der Schrei einer wissenden Krähe und riss Ihn aus einem unheilvollen Traum. Schlaftrunken öffnete er seine Augen und richtete sich auf. 

In ihm brannte eine glutrote Hitze, als hätte man ihn mit glühendem Eisen gefüllt. Es war so unerträglich, dass ihm gar nicht aufgefallen war, wie er aufgestanden war. Die Beine hatten ihn schon zur Tür gebracht und seine Hände waren schon dabei diese zu öffnen, da kam ihm der Gedanke, er würde etwas oder jemanden zurücklassen. Es fühlte sich wie für immer an. Er versuchte noch, sich umzudrehen konnte aber nur zusehen, wie er über die Schwelle nach draußen trat.

Auf der anderen Seite wartete geduldig die Krähe auf einem knorrigen Ast und beobachtete ihn mit scharfem Blick. Erneut krächzte sie, was sich in seinen Ohren wie das Lachen eines Teufels anhörte. 

Stehen geblieben war er allerdings nicht. Es ging weiter voran unter dem Baum mit der Krähe hindurch und dann direkt in den Wald hinein. Keine Wege schienen dorthin zu führen, wohin er auch immer wollte. So kämpfte er sich durch Büsche und Sträucher und kratzte sich dabei Arme und Beine auf. Dieser Schmerz war jedoch völlig überschattet von der Feuersbrunst unter seiner Haut. Wenn er doch nur irgendetwas fände, das ihm Linderung verschaffen würde. Nicht einmal der kühle Wind der Nacht schaffte es, der Hitze auch nur ein wenig an Kraft zu rauben. Aber dieser brachte den Geruch von Salz mit sich und ein Rauschen, das mit jedem Schritt lauter wurde. 

Ehe er es sich versah war der weiche Waldboden feinem Sand gewichen, die Bäume öffneten sich und gaben den Blick auf das wilde Meer frei. Der Mond stand über ihm in vollem Rund und tauchte die Wellen in ein geisterhaftes Licht. Hinter ihm konnte er schon wieder das nun bekannte Krächzen hören, doch hätte er sich nicht umgedreht selbst wenn er es gekonnt hätte. Stattdessen war sein ganzes Sein auf das Nass gerichtet. Seine Füße tauchten in das Wasser ein und sofort ging es ihm etwas besser. Es war nicht so kalt, wie er es erhofft hatte, aber jeder Schritt ließ ihn tiefer einsinken. Er war überrascht wie seine Füße immer noch guten Halt am Grund fanden, obwohl ihm die Wellen schon gegen die Brust schlugen. Mit einem tiefen Atemzug füllte er noch einmal seine Lungen und tauchte dann in die Dunkelheit hinein. 

 

Die Hitze war immer noch da und glühte in ihm, doch nun gab es etwas, das den Kampf aufgenommen hatte. Mit jedem Schritt wurde es etwas kühler. Die Augen geschlossen fühlte er in sich hinein, wie das Wasser ihn langsam aber sicher von seiner Last befreite. Der Untergrund wurde von Sand zu Stein, da blieb er stehen und öffnete seine Augen. Es fühlte sich seltsam an, auf einmal nicht mehr in Bewegung zu sein. Aber Gedanken darüber wurden sofort von dem eingenommen, was vor ihm lag. Denn direkt vor seinen Zehenspitzen fiel der Meeresboden steil ab. Ihm war so als könnte er große Schatten in der Tiefe schwimmen sehen. Da stieg ein Gedanke in ihm auf, wie lange er schon unter Wasser war und wie lange er noch den Atem anhalten konnte. Doch dann verlor er diesen Gedanken und sprang in den Abgrund hinein.

 

Mit jeder Körperlänge, die er sank, nahm die Hitze deutlich ab. Endlich brannte nicht mehr die Hölle selbst unter seiner Haut und er gewann auch wieder die Fähigkeit seinen eigenen Körper zu steuern zurück. Er blickte um sich und entdeckte in diesem Dunkel die Umrisse von Kreaturen. Groß wie ein Haus bewegten sie sich langsam und träge. Einige davon kamen näher an ihn heran und beobachteten ihn mit ihren hungrigen Augen, während sie langsam Kreise um ihn zogen. Manche schwammen so nah, er konnte Reihen an messerscharfen Zähnen, Stacheln und Narben erkennen. Wie in einem Tanz begleiteten sie ihn hinab. Manchmal  streiften sie ihn mit ihrer rauen Haut, aber ließen ihn sonst in Frieden. Hin und wieder verschwand einer in der Ferne. So wurden es immer weniger um ihn herum, bis er nach einiger Zeit wieder ganz alleine war. Nun konnte er nichts um sich herum erkennen, während er weiter ins Unbekannte sank. 

 

Es war als öffnete sich der Meeresboden selbst. Ein Auge, so gigantisch, man hätte ein ganzes Dorf darauf errichten können. Dessen geisterhaftes, kaltes Leuchten stand im starken Kontrast zu der Pupille, ein Riss wie eine alles verschlingende Schlucht. Der Blick nahm ihn komplett gefangen und zog ihn weiter in die Tiefe, bis sein ganzes Sichtfeld von dem Auge eingenommen war.

Ein Beben fuhr durch das Wasser gefolgt von einem tiefen Grollen, das ihn zu zerreißen drohte. Das Monstrum hatte sich in Bewegung gesetzt. Er konnte die Ausmaße des Körpers nicht erkennen aber bei so einem Auge musste es gewaltig sein. Es drehte sich auf die Seite, dabei entstanden Strömungen die an ihm zogen und zerrten. Er wurde herumgeschleudert, bis das Auge neben ihm zum Stehen kam. Noch einmal sahen sie sich gegenseitig an, dann kam wieder das Grollen und er verstand, dass es der Ruf des Wesens war. Ein Ruck ging durch das Ungetüm, es begann zu schwimmen. Die entstehende Strömung setzte einfach alles in Bewegung. Sand, Gesteinsbrocken und er wurden davon geschleudert, wie Blätter in einem Orkan. In wenigen Augenblicken war das Auge in der Dunkelheit verschwunden. Kurz jedoch hatte er einen Umriss ausmachen können, der entweder ein ganzes Bergmassiv oder der Körper des Ungetüms war. Dann schlossen sich seine Augen und er wurde weiter davon gespült.

 

Als er wieder zu sich kam, lag er am Meeresboden, einsam und allein. Er blickte auf. Seine Augen warfen einen fahlen geisterhaften Lichtschein, doch außer Sand konnte er nichts erkennen. Seine Haut war nun so kalt und schwarz wie die See um ihn herum. Es fühlte sich gut an kalt zu sein, er war endlich die Hitze los. Langsam und behäbig richtete er sich wieder auf. Dabei versuchte er sich zu erinnern, wo er hergekommen und was vorher gewesen war. Erst war da nichts, aber dann entdeckte er etwas ganz tief in ihm drin. Die Andeutung an ein früheres Leben und Liebe. Ein kleines Feuer entflammte in seinem Körper, und stach in seinem Herzen. Eine Wunde die niemals heilen würde. 

 

Dann setzte er einen Schritt nach vorne und begann seinen rastlosen Marsch auf dem Grund des Meeres, auf der Suche nach etwas, dass er vergessen hatte.

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