Ort: Innenstadt
Wetter: Eisregen
Sinn: Nur Sehen
Emotion: Freude
Schüsse pfiffen an Ewans Gesicht vorbei und er hätte in diesem Moment kaum glücklicher sein können. Endlich hatte er es geschafft. Es musste Jahre her sein, in denen er zuletzt die Oberfläche zu Gesicht bekommen hatte. Alles war besser, als in dieser verdammten Dunkelheit ums Überleben zu kämpfen. Die Wachen auf seinen Fersen konnten noch so sehr versuchen, ihn mit dem Inhalt ihrer Pistolen zu durchlöchern. Solange er an der Oberfläche war, so lange er frei war, war alles egal.
Obwohl sein Körper von der Kälte völlig taub war, stand ihm ein breites Grinsen ins Gesicht geschrieben. Das Bild vor seinen Augen war so schön, dass nichts auf der Welt ihm das nun hätte nehmen können. Er war endlich zuhause. Das Pflaster der kleinen Stadt Pendington war glitschig von dem Eisregen, der hier schon seit zwei Tagen unermüdlich die Einwohner ärgerte. Doch für Ewan konnte es wohl kaum einen schöneren Anblick geben. Sein Herz schlug vor Freude, und vielleicht auch ein wenig durch die unermüdliche Jagd, die die Wachen ihm aufzwangen. Aber für Ewan war Letzteres nicht so wichtig. Selbst wenn er jetzt hier sterben sollte, würde er es mit einem Lächeln tun. Seine Beine rannten von alleine, schlugen Haken und nutzen instinktiv jede Deckung, die er ausmachen konnte. Diese Instinkte hatte er den langen Jahren in dieser Hölle zu verdanken. Mit so einem Leben dort unten hätten die Verfolger es nicht aufnehmen können. Schon wollte sein Verstand die nächste Gelegenheit zu nutzen, um sich zu einem Hinterhalt zurückzuziehen, den Kampf zurück zu seinen Peinigern zu bringen. Aber noch konnte er sich nicht dazu durchringen, etwas anderes zu tun, als dem Gemisch von Wasser und Eis zuzusehen, wie es auf ihn zuflog und in sein Gesicht prasselte, von grundlegendem Überleben mal abgesehen. Dieses Wetter war herrlich und tat ihm noch dazu einen großen Gefallen: seine Verfolger hatten allerhand damit zu tun, ihre Augen vor den nassen Eisklumpen zu schützen und konnten nur auf ein grobes Feuern setzen. Solche Schutzreaktionen waren Ewan dort unten schon lange abtrainiert worden. Er rannte mit weit aufgerissenen Augen durch das Treiben, ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken. Dann hörte er unter dem platschenden des Regens, den Schüssen hinter ihm und dem Blut in seinen Ohren das Geräusch von quietschenden Rädern.
Ewan erinnerte sich mit einem Mal daran, was denn doch Autos waren. Das waren auch einige der Dinge gewesen, hinter denen er sich geduckt hatte. Er konnte sich daran erinnern, wie er in seiner Jugend einmal in einem von ihnen mitgefahren war. Die quietschten aber normalerweise nicht, nur wenn sie auch besonders schnell unterwegs waren oder danach bremsten? Auch egal, man überlebt nicht, wenn man nicht immer vorsichtig ist. Ewan packte im vollen Lauf einen Laternenmast, um seinen Sprint in eine Seitengasse zu lenken. Dabei rutschte er ab, kam ins Schliddern und kollidierte mit der Gassenwand, während hinter ihm zwei schwarze Transporter zum Stehen kamen und nochmal ein halbes Dutzend Bewaffnete ausspuckte. Ewan gelang es gerade noch so, hinter die nächste Biegung zu hechten, als sich hinter ihm der enge Durchgang mit einem Gewitter aus Kugeln füllte. Doch im Gegensatz zum Eisregen verzog sich dieses so schnell wie es gekommen war und schon strömten die Wärter Ewan nach. Sie stürmten um dieselbe Ecke hinter die er sich geflüchtet hatte - eine Sackgasse!
Die Spuren im Schneematsch führten zu einem offenen Kanaleingang mit beiseite geschobenen Gullideckel mit blutigen Handabdrücken. Die Wärter fackelten nicht lange. Ein Teil sprang in den Schacht hinein, während der Rest sich zu den Autos zurückzog. Ewan lächelte ihnen von einem der Dächer hinterher. Keine zehn Pferde hätten ihn wieder freiwillig unter die Erde gebracht. Er betrachtete seine aufgerissenen Finger und dann endlich in Ruhe den Himmel mit diesem wundervollen Eisregen.
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