Der Tunnel war länger als ich dachte, doch das war mir egal. Meine Beine trugen mich mühelos so schnell hindurch, dass ich das Pfeifen der Luft an meinen Ohren hörte. Am Ende des Tunnels blitzte etwas helles auf. Na endlich, das müsste es sein. Ohne abzubremsen schoss sich aus dem Tunnel heraus und fiel. Ein Gefühl von Schwerelosigkeit machte sich in meinem Körper breit, während ich versuchte meine Beine Richtung Boden zu richten. Nach gut zehn Metern kam mir plötzlich der Boden entgegen. Irgendwie schaffte ich es doch, die Energie des Falls in eine Schockwelle umzuwandeln, die sich ringförmig um mich herum ausbreitete. Dabei trieb ich Jahrhunderte an Staub in die Flucht und vor allem nach oben.
Ich richtete mich auf und versuchte in dem ganzen Staub etwas zu erkennen. In der Hoffnung, den Raum nun endlich besser unter die Lupe nehmen zu können, sah ich mich um. Doch musste ich feststellen, dass das Licht, das ich vom Tunnel aus gesehen hatte, nur ein kleiner Leuchtstein an der Decke war. Dessen Kräfte hätten vor 100 Jahren sicher gereicht, um alles in den prachtvollsten Farben zu zeigen, doch war er nun nicht mehr als ein kleines Glimmen an der Decke. So warf ich mit einer flinken Handbewegung ein Feuer in die Luft. Dieses knisterte als kleiner Funken in die Mitte des Raumes, wo es sich in eine stille, schwebende Flamme verwandelte.
Ich stand in einem rund dreizehn Meter hohen Raum, der wie eine Kuppel gewölbt war. Der Lichtstein war am höchsten Punkt dieser Kuppel angebracht. Von dem Raum führten in gleichmäßigen Abständen fünf Gänge in die Dunkelheit. Diese Gänge waren sehr breit und nach oben hin abgerundet. Als ich mir die Wände etwas genauer an sehen wollte, wirkte ich einen kleinen Wind, der diese von Staub befreite. Ein Husten meinerseits später, überprüfte ich die Rillen in der Wand. Diese Linien und Kreise wurden immer wieder von Schriftzügen aus kryptischen Glyphen begleitet. Ich machte keine Schäden an den Wänden aus. Bemerkte aber dabei, dass es an der Decke noch zwei weitere Tunnel gab. Auch sie waren in gleichmäßigem Abstand angebracht, doch kreisförmig.
Nun sah ich den Boden genauer an, der dank meiner Landung frei von allem Schmutz war. Ein beeindruckter Pfiff entwich meinen Lippen. Der Bannkreis, der auf ihm abgebildet war, war der beeindruckendste, den ich je gesehen hatte. Er war unglaublich komplex, doch konnte man die simplen Strukturen, auf denen er aufgebaut war, gut erkennen.
Ich wünschte, Ralas wäre hier. Dann könnte ich mit ihm stundenlang über jedes Zeichen, jeden Kreis und jede Linie fachsimpeln. Ach was sage ich da, es würde Tage oder sogar Wochen dauern, bis wir dem Meisterwerk seine Geheimnisse entlockt hätten. Nur diese Zeit hatte ich jetzt leider nicht.
In der Ferne konnte ich schon ein leises Grollen ausmachen. Es kam von den Schritten der Söldner und deren Suchhunde, die mir gefolgt waren. Sie waren sehr zahlreich, wahrscheinlich um die zweihundert Mann. Doch ihre Überzahl war nutzlos in dem Labyrinth der Tunnel, durch das ich hierher gelangt war. Durch das Labyrinth werden sie irgendwann finden, dafür mussten sie meiner Spur nur mit den Hunden folgen. Doch die Fallen, die ich nicht ausgelöst und die, die ich noch hinzugefügt hatte, sollte mir noch etwas Zeit verschaffen.
So beendete ich meine Studie des Raumes und begab mich in dessen Mitte. Dort zog ich aus einer meiner Taschen eine Phiole mit einer schwarzen Flüssigkeit. Darin befand sich das Blut von Romeren, die über magische Kräfte verfügen. Ich entkorkte sie und befüllte damit eine kleine Kuhle, die in die Mitte des Raumes eingelassen war. Ich atmete erleichtert auf, als ich sah, dass sich genug Blut mitgebracht hatte. Es war sogar genug übrig, um mir noch ein Kraftzeichen auf das Gesicht zu malen. Dazu tippte ich meinen Finger an die Phiole drehte sie um. Danach zeichnete ich mir einen Strich über die Nase, vom linken bis zum rechten Auge, an dem ich einen Knick machte und die Linie gerade hinunter führte. Gleich darauf spürte ich eine Welle von Kraft, die durch mich hindurch pulsierte. Die Phiole verschwand wieder in der Tasche, aus der ich sie geholt hatte.
Normalerweise müsste man für so einen großen Zauber unzählige Dinge mehr vorbereiten. Doch das war die Schönheit dieses Kreises, man brauchte nur Kraft und ein bisschen Blut und schon konnte es losgehen. So stellte ich mich in die Mitte und hob meine Arme über die kleine Kuhle. Ich formte mit meinen Händen ein Zeichen, dass auf mich wies. Dabei versuchte ich die immer noch in mir pulsierende Kraft in eine Form zu bringen.
Langsam verebbten die Wellen, die mich durchzogen, und sammelten sich in einer kleinen Kugel aus Kraft, die sich, unsichtbar für meine Umgebung, doch für mich sehr gut spürbar, konzentrierte. Mit jeder Welle wuchs sie heran, immer nur ein kleines Stück. Dabei drehte ich sie und komprimierte sie wieder. So verdichtete sich die Energie immer weiter, bis ich an einen Punkt kam, an dem ich meine eigene Kraft mit in diese Kugel gab.
Durch meinen Kopf schossen alte Formeln, Lektion meines Lehrers und Bücher, die ich gelesen hatte. Doch es war mehr mein Gefühl, das mir die richtige Konzentration der Kugel vorgab. Als ich das geschafft hatte, formten meine Hände ein weiteres Zeichen. Die Kugel folgte ihnen und blieb zwischen ihnen stehen. Meine Umgebung wurde nun auch von der Kraft der Kugel beeinflusst und ein kleines Lüftchen hatte damit begonnen, sich kreisförmig um mich zu drehen. Ein weiteres Zeichen und die Kugel folgte meiner Hand, die ihr einen Weg in die Kuhle wies.
Als die Kugel in das Becken eintauchte, entstand in dem Blut ein einziger Wellenkreis. Der Raum erwachte zum Leben. Ausgehend von der Kuhle, zog sich nun das Blut, als wäre es endlos, entlang der Linien in diesem Raum. Stück für Stück färbte sich jede Linie, jeder Kreis und jedes Zeichen rot. Wäre ich nicht so vertiefte in meinen Zauber gewesen, hätte ich sicher die Zeit gefunden, mir wie ein kleines Kind, völlig begeistert dieses Spektakel anzusehen.
Doch so waren alle meine Gedanken daran gebunden, die Leiterbahnen der Energie, die sich nun durch diesen Raum erstreckten, richtig zu verknüpfen. Unsichtbar hob sich die Energie des Blutes in den Raum und ließ dabei die Luft vor Kraft erzittern. Meine Lippen formten eine Formel, die mein Konstrukt leitete, eine Form anzunehmen. Dabei verschlang es nun auch die Kraft aus meinen Feuer, sowie die aus dem Lichtstein, die mich in völliger Dunkelheit zurückließen.
Das Blut im Raum begann zu pulsieren. Dabei flammte ein Licht in ihm auf. Im Rhythmus meines Herzens schlug das Blut an den Wänden dieses Raumes. Es schlug, wurde heller, schlug, wurde heller. Als ich wieder etwas sehen konnte, sah ich wie sich die Blutstränge von den Rillen in der Wand lösten. Um mich herum entstand ein verkleinertes Abbild der Linien dieses Raumes. Das rote Licht des Blutes durchflutete den Raum bei jedem Schlag.
Ich atmete tief ein, um den letzten Teil des Zaubers einzuleiten. Ich sammelte meine Kräfte und formte das Zeichen der Komprimierung. Das Gebilde um mich herum gehorchte und zog sich noch enger zusammen. Beim Ausatmen achtete ich darauf, meinen Herzschlag zu beruhigen. Das machte ich solange, bis das Gebilde um mich herum nur noch schwache Pulse von sich gab. In mir staute sich die Energie auf, Schlag um Schlag. Auch wenn alle meine Sinne mir sagten loszulassen, drängte ich es noch weiter zurück. Ich brauchte noch mehr, es war noch nicht genug. Eine endlose Minute verstrich, in der ich gegen alle Fasern in meinem Körper kämpfte. Unter meiner Haut brannte ein Feuer, das alles in seiner Umgebung zu versengen versuchte. Durch meinen Kopf rasten Stimmen, die einfach nur schrien, dass es das nicht wert sei oder dass ich sterben würde. Aber unter ihnen war auch eine leise aber stetige Stimme, die mir immer wieder versicherte, du schaffst das, konzentriere dich, noch ein bisschen mehr.
Geschafft, die Schwelle war erreicht, ich hatte genug Energie. Mit einer mir unvorstellbar anstrengend vorkommenden Bewegung gab ich die Kraft frei. Ich musste nicht einmal ein Zeichenform, sondern einfach nur meine Hände zu den Seiten ausstrecken, um der Kraft freie Bahn zu lassen.
Ein Schlag durchzog den Raum. Das Gebilde um mich herum wurde mit unglaublicher Kraft zurück in die Rillen gepresst. Ein mächtiger Schlag, der die ganzen Katakomben zum Erzittern brachte. Mein Herz fühlte sich an als würde es zerreißen. Doch ich hatte es geschafft, dieser Schlag würde reichen. Er wird in die Tiefen des Ethers dringen und ihn aus seinem Schlaf wecken.
Die Energie hatte das Blut verlassen und so kehrte wieder Dunkelheit in den Raum ein oder zurück. Als ich gerade die letzten meiner Kräfte sammeln wollte, um ein weiteres Feuer zu erschaffen, entstand ein purpurner Funke direkt vor mir. Die Flamme war beeindruckend und bewegte sich wie in Zeitlupe. Aus dieser Flamme entstand ein brennender Ring, der immer größer und größer wurde. Er füllte fast den kompletten Raum bis er sich sich ganz geöffnet hatte. Die Flammen des Portals ließen den Raum wieder in seinen vollen Farben erleuchten. Ich machte ein paar Schritte zurück, um dem, was kommen wird, etwas mehr Platz zu verschaffen.
Aus der Dunkelheit des Portals kam eine mit Klauen versehene Hand. Diese krallte sich in die rechte Seite der Wand. Aus der Dunkelheit kam eine weitere, die sich nun in die linke Seite stemmte. Die Arme waren über und über mit Ketten umwickelt. Darunter schien ein dunkles langes Gewand zu sein, dass mit Schriften überzogen war. Mit deutlicher Anstrengung zog sich nun der Rest aus dem Portal. Ein großer schwebender Oberkörper, der wie die Arme mit Ketten, Umhang und in ein dunkles Gewand gehüllt war. Da, wo andere Wesen einen Kopf auf einem Hals haben, schwebte eine graue Maske. Diese Maske hatte die Form eines Monsters und erinnerte entfernt an einen Wolf, nur dass einen statt zwei, fünf Augen anstarrten. In jedem dieser Augen brannte ein purpurnes Licht. Um den Hals hatte das Wesen Totenschädel verschiedener Rassen gehängt und in der Mitte hing ein riesiges versiegeltes Buch.
Das Monster ließ von den Wänden ab und richtete sich vor mir auf, die Augen starr auf mich gerichtet. Es sagte kein Wort, doch der Kiefer seiner Maske bewegte sich langsam auf und zu. Da war er, Ronvaltalan, der Gott der leeren Bücher.
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