Vareliostro

Eine Böe schlug mir entgegen. Meine Haare tanzten mir vor dem Gesicht und meinen Augen wurden feucht. Ich bändigte mein Haar und zwinkerte, bis ich wieder etwas sehen konnte.

Die Sonne schien an einem strahlend blauen Himmel. Nur ein paar schneeweiße Wölkchen schwebten langsam vor sich dahin. Die Landschaft war übersät mit kleinen Hügeln, Feldern und Wäldern, die sich in allen möglichen Farbtönen vor mir erstreckten.

Unter mir zog sich eine breite Schlucht. Durch sie floss der Aural, der für sein bläuliches Wasser bekannt war. In der Schlucht gab es auch ein kleines Dorf. Die Häuser waren direkt in die Steilwand gebaut, sie waren mit Leitern, Brücken und Stegen miteinander verbunden. Der Wind ließ die Wäsche, die zum Trocknen aufgehängt worden war, an den Stangen tanzen. Vor den Häusern waren viele Windspiele, kleine Fähnchen und weitere Spielereien eingebaut, die das kleine Dorf noch lebendiger wirken ließen. Eine Weile lang beobachtete ich die Dorfbewohner, die von hier oben wie kleine Insekten aussahen. Es gefiel mir, wie sie geschäftig umeinander wuselten. Ein paar von ihnen blieben stehen und zeigt nach oben.

Sicher, hier kamen viele Handelsschiffe durch, doch die fliegenden Schiffe der Gilde, waren auch immer für mich ein Anblick gewesen, dem ich mich nie entziehen konnte.

Die Mardena besaß vier Hauptmasten in der Mitte des Schiffes und zwei Seitensegel, die sich deben einem der Hauptmasten erstreckten. Diese Seitensegel wurden verwendet um das Schiff zu steuern und konnten sowohl nach oben als auch nach hinten bewegt werden. Die Seiten des Schiffes waren über und über mit Reliefs verziert, die in einem beeindruckenden Drachen endeten, der die Galionsfigur bildete. Dieses Schiff war eines der größten der Handelsgilde und deren ganzer Stolz.

In ihrem Inneren befand sich das Geheimnis des Fliegens.

Livitrium war ein Erz, das aus den fliegenden Steinen gewonnen wurde. Erhitzte man es, stieg es nach oben, wurde es abgekühlt, sank es wieder herunter. Die Mardena war so gebaut, dass sie bei Leergewicht genau ihre Höhe hielt. Wenn sie beladen wurde, mussten die vier Erzkerne erhitzt werden, damit sie nicht nach unten sank. Einer der Matrosen hatte mir verraten, dass dieses Schiff sogar einen fünften Kern besaß, der aber nur für Notfälle eingesetzt wurde. Doch was für einen Notfall sollte es schon geben, denn selbst wenn alle Öfen ausfallen würden, würde das Schiff einfach langsam zu Boden sinken.

Auf einmal kam Leben in das Schiff. Vom Hauptmast schallte ein Ruf herunter und alle Blicke richteten sich nach vorn.

In der Ferne formte sich hinter einer einsamen Wolke die Silhouette eines Berges heraus. Nur dass dieser Berg nicht wie andere auf dem Boden saß, sondern fast vollständig aus Livitrium bestand. An, in und um ihn herum war die große, schwebende Handelsstadt Kardenum gebaut worden.

Neben dem Berg, der den Namen Vareliostro trug, waren über die Zeit hinweg weitere fliegende Steine in die wachsende Stadt mit eingeflochten worden.

Die Häuser der Stadt waren auf Plattformen errichtet, die ähnlich wie das Dorf, das wir überflogen hatten, mit Brücken und Stegen verbunden waren. Auch zog sich die Stadt über mehrere Ebenen hinweg und war mehr nach oben und unten gebaut worden als in die Breite.

Ein leichter Ruck zog sich durch das Schiff und langsam stiegen wir auf. An einem so sonnigen Tag stand die Stadt noch weiter oben als sonst. Der Captain hatte gut Brennstoff sparen können bei so einem Wetter, doch jetzt kam Leben in die Öfen. Zuerst wurden die vorderen Kerne angeheizt, sodass sich das Schiff kaum merklich aufrichtete. Doch bevor sich die Nase weiter hob, starteten bereits die hinteren Öfen nach.

Je höher wir stiegen, desto stärker wurde der Wind. Ich warf mir wieder meinen Mantel über, der bis eben über der Reling gehangen hatte.

Ein paar Stunden später hatten wir den großen Hafen von Kardenum erreicht. Segel wurden gerafft, um unsere Geschwindigkeit zu reduzieren. Langsam schob sich das mächtige Schiff in die Landebucht. Ich lief von einer Seite des Schiffs auf die andere und macht mir einen Spaß daraus, den Trubel zu beobachten. Matrosen rannten das Deck auf und ab, Hafenarbeiter den Steg. Hier und da wurden Befehle gebrüllt und geübte, flinke Handgriffe ließen Taten folgen. Es war eine hohe Kunst, ein solches Schiff so geschmeidig andocken zu lassen. In Gedanken schickte ich dem Kapitän meine Bewunderung, der wohl zu Recht für dieses Schiff ausgewählt worden war.

Ich ließ meine Blicke auch über den Rest des Hafens streifen. Dieser war ein zwar stetig wachsender, doch auch ein alter Teil der Stadt. So hatten sich schon neuere Bauten um ihn herum gezogen. Der Hafen selbst war direkt an Vareliostro gebaut worden. An den Stein waren Landebuchten verschiedenster Größe gebaut. Es herrschte reges Treiben von größeren und kleineren Schiffen, die wie wir anlegten oder ablegten.

Durch den ganzen Tumult schwirrten auch immer wieder kleine Gruppen der Stadtwache. Diese bestand hauptsächlich aus Forgen, die die Erbauer dieser Stadt waren.

Die Forgen waren eine Art Vogelmenschen. Sie hatten Vogelköpfe und besaßen einen langen, schlanken Rumpf. Ihre Hände und Füße waren mit Klauen besetzt und auf dem Rücken saßen ihre großen Schwingen, mit denen sie sich in die Luft erheben konnten.

In den letzten Jahren, waren auch noch andere Rassen der Stadtwache beigetreten. So sah man ab und zu auch ein Kampfboot. Das waren kleine Schiffe auf denen bis zu zwölf Wachen und vier Kanonen Platz fanden. Dann gab es noch die Windreiter, Einpersonenschiffe, die mit einem kleinen Kern und stoffbespannten Flügeln ausgestattet waren. Sie waren zwar bei weitem nicht so wendig wie die Forgen, doch weit agiler als andere Schiffe.

Ich wendete mich wieder dem eigenen Schiff zu. Es wurden gerade Leinen Richtung Steg geworfen, die dort eilig vertaut wurden. Ein letzter Ruck und wir hatten angelegt.

Ich legte meine Tasche über die Schulter, verabschiedete mich von den Matrosen und anderen Reisenden, deren Bekanntschaft ich auf dieser Reise gemacht hatte, und verließ voller Tatendrang das Schiff. Während ich über die belebten Treppen und Brücken streifte, durchzog mich ein Schauer der Vorfreude.

Hier würde ich finden, wonach ich so lange gesucht hatte.

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